Stefanie B?rkle

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Mehrschicht-Haus

Mehrschicht-Haus | @ Stefanie B?rkle

Innerhalb unserer Erhebungsmenge von 116 Rückkehrerhäusern bildet mit 9 Prozent das Mehrschicht-Haus die kleinste Gruppe. Am Mehrschicht-Haus ist der über viele Jahre andauernde Bauprozess ablesbar: In Eigenarbeit während des deutschen Jahresurlaubs des Bauherren realisiert, weist ein solcher Bau meist unterschiedliche Stile und eine Kombination von zumeist deutschen, aber auch türkischen Baumaterialien auf. Zum Charakter des Hauses als Prozessgestalt passt, dass das Haus auch nach der Fertigstellung weiterhin als Baustelle betrachtet wird und das Bauen, wenn der Bauherr in Rente gegangen ist, nunmehr als Hobby fortgef?hrt wird. Es kommt nicht selten vor, dass nach dem eigentlichen Abschluss der Bauarbeiten noch eine weitere Etage hinzugefügt wird oder Räume erweitert werden, ohne dass eine räumliche Notwendigkeit dafür besteht.

Jenseits der Prozesshaftigkeit dieses Bautypus ist seine Gestalt vom Charakter des Bauherren als Autodidakt und Bastler gekennzeichnet. In seinem Buch ?ber die Idee von der „Collage City“ stellt Colin Rowe dem begrenzten Denken des architecte ingenieur die von Lévi-Strauss’ „wilden Denken“ entlehnte Beschreibung des bricoleurs (Bastlers) entgegen: „Der Bastler ist in der Lage, eine große Anzahl verschiedenartigster Arbeiten auszuführen; doch im Unterschied zum Ingenieur macht er seine Arbeiten nicht davon abhängig, ob ihm die Rohstoffe oder Werkzeuge erreichbar sind, die je nach Projekt geplant oder beschafft werden müssten; die Welt seiner Mittel ist begrenzt, und die Regel seines Spiels besteht immer darin, jederzeit mit dem, was ihm zur Hand ist, auszukommen, d. h. mit einer stets begrenzten Auswahl an Werkzeugen und Materialien, die ?berdies noch heterogen sind, [...] den Vorrat zu erneuern oder zu bereichern oder ihn mit den Überbleibseln von früheren Konstruktionen oder Destruktionen zu versorgen. Die Mittel des Bastlers [...] lassen sich nur durch ihren Werkzeugcharakter bestimmen – anders ausgedrückt und um in der Sprache des Bastlers zu sprechen: weil die Elemente nach dem Prinzip "das kann man immer noch brauchen" gesammelt und aufgehoben werden. Solche Elemente sind also nur zur Hälfte zweckbestimmt: Zwar genügend, dass der Bastler nicht die Ausrüstung und das Wissen aller Berufszweige nötig hat; jedoch nicht so sehr, dass jedes Element an einen genauen und fest umrissenen Gebrauch gebunden w?re. Jedes Element stellt eine Gesamtheit von konkreten und zugleich möglichen Beziehungen dar; sie sind Werkzeuge, aber verwendbar für beliebige Arbeiten innerhalb eines Typus.“ (Lévi-Strauss 1973, 30–31)

Diese Beschreibung trifft auf die Entstehung eines Hauses vom Typus des Mehrschicht-Hauses zu. Dieser Typ ist vom Wachsen geprägt, wobei die Fähigkeiten und das bautechnisch Mögliche bis zu den Grenzen des statisch Erlaubten ausgereizt wird. Durch den mitgestaltenden Faktor „Zeit“ ist dieser Haustyp Sinnbild für Veränderungen und fortwährende Verbesserungen. Etage für Etage können die Lebensphasen der Remigranten, ihre Lebensgewohnheiten und sich im Laufe der Zeit verändernden Vorstellungen vom Traumhaus wie in Jahresringen abgelesen werden – wie Glassie folgendermaßen beschreibt: „Vernacular is one of the tools we use when we face architectural objects with a wish to crack them open and learn their meanings.“ (Glassie 2000, 21)

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